International Affairs II – Gallus Calling
21. September – 22. Oktober 2018 – Projektraum Balken, Frankfurt a.M.
Vernissage: 21. Septembers ab 18 Uhr
Ausstellende Künstler: Betty Rieckmann, Daniel Kannenberg, Sali Musliu, Zero Reiko Ishihara, Jirka Pfahl, Evi Sofianou, Andreas Lau, Römer + Römer, Sascha Boldt, Deniz Alt, Annette Merrild
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New Affairs:
Betty Rieckmann (*1986) ist in Palo Alto/Kalifornien geboren und wuchs in Deutschland auf. Sie studierte zunächst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe Malerei und Grafik bei Erwin Gross und im Anschluss Lichtdesign in Hildesheim. Rieckmanns beharrliche künstlerische Auseinandersetzung mit Licht hat dort nach ihrem Abschluss sogar zu einem Lehrauftrag für Lichtkunst geführt. Doch ihre Leidenschaft für das Medium nahm ihren Anfang auf dem Schrottplatz ihres Stiefvaters. Während sie ihrer Faszination für Schrott folgend die dort zusammengesammelten Objekte anfänglich mit Farbe übergoss, entdeckte sie eines Tages das Objekt des Autoscheinwerfers für sich – ihre Licht-Malerei war geboren. Wenn alles, was wir sehen, Reflexionen von Licht ist, was läge da näher als direkt mit Licht zu malen, so Betty Rieckmann.
Nicht nur die Raumteile, sondern auch die sich auflösenden Raster in den Arbeiten von Daniel Kannenberg sind als begreifbare Formen innerhalb eines rätselhaften Universums anzusehen. Jedes Feld enthüllt einen einzigartigen Kosmos abstrakter Malerei – und symbolisiert zugleich sich wiederholende Muster. „Die Raster sind mit der Hoffnung auf Kalkulierbarkeit verbunden, die dem Zufall entgegensteht“, sagt Daniel Kannenberg. Vermeintliche Gegensatzpaare zwischen alltäglicher Ordnung und universellem Chaos verdichten sich auf den Bildflächen des Künstlers Daniel Kannenberg zu einer Einheit, die durch das kontrastreiche Zusammenspiel von Designermöbeln, afrikanischen Masken, fleckigen Tapeten oder grünen Neonröhren immer wieder absurd und ungewohnt erscheint. Daniel Kannenberg verbindet in seinen Arbeiten divergente Welten und demaskiert sie als Teil eines vielfältigen Ganzen.
Die Papierarbeiten von Jirka Pfahl entfalten auf den ersten Blick eine von Dunkelblau umgebende und gerasterte Tiefe. Die Form der Collagen verleiht seiner Arbeit etwas beruhigend–sinnhaftes, durch Lichteinfall und Betrachtungswinkel ergeben sich immer wieder neue Schattierungen, neue Muster. Die von armenische Teppichen abgedruckten Papierwerke, in meisterlicher Handarbeit abgedruckt, ähneln der Kunst der Fuge des größten aller Einwohner Leipzigs. Der Eröffnung eines Schachspieles gleich werden Papier und Druck über die Form und Lage ins Bild gebracht. Die Raster haben einen Einfluss auf die Variationen des Gesamtbildes. Im Zusammenhang mit der Gesellschaft ordnen die Mächtigen ihre Untergebenen meist in Raster und Muster und entwickeln dadurch Herrschafts-Monotypien, die sie ihrer Umgebung und Umfeld aufdrucken und fesseln lassen.
Warum existieren wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Diese Fragen bewegen das menschliche Denken seit seinen Anfängen. Religionen und Wissenschaft haben aus unterschiedlichen Perspektiven versucht, Antworten zu geben. Neugier war vermutlich in beiden Fällen die treibende Kraft und der gemeinsame Ursprung ihrer Entstehung. Als Künstlerin will Zero Reiko Ishihara ebenfalls Antworten auf das Warum, das Woher und das Wohin geben. Zu ihren Inspirationsquellen gehört die buddhistische Idee der Wiedergeburt, der Verbundenheit alles Lebendigen – auch wenn sie mit dieser Religion nur aufgrund ihrer japanischen Herkunft vertraut ist, sie selbst aber keine Buddhistin ist. Außerdem ist Zero von klein auf fasziniert von der Biologie, der Wissenschaft alles Lebendigen. Ihr Interesse gilt dabei speziell der Paläontologie, der Erforschung der Ur- und Frühformen des Lebens auf der Erde.
Klatschmohn blüht blutrot. Sein Rot erfreut das Auge. Im Blütenkorb ist Mohn, wie sein Same, tiefschwarz. Gegen das Sonnenlicht betrachtet, erscheint die ganze Blüte schwarz, wirft Schatten. Wir assoziieren mit Rot die Liebe und mit Schwarz den Tod.
Sali Musliu setzt sich in seinen Bildern mit dieser Spannung zwischen Schönheit, Unschuld und Gewalt und Tod auseinander. Der 1966 im Kosovo (Gjilan) geborene Maler war Meisterschüler Konrad Konrad Klapheck und studierte bei Markus Lüpertz und Walter J. Hofmann. Die Bilder erscheinen heiter – Porträts, Landschaften, Architektur. Erst beim genaueren Hinsehen erscheinen die Chiffren – ein schönes Gesicht, verstört, rote Kreuze, Schussflecken, gemarterte Hände und Füße, ein brennendes Haus, Wolf, Schaf, Blume und Feuer – wild im harmonischen Chaos verwoben. Das Gesamtbild erscheint heiter und schön. Wie kann es dazu kommen, dass Schönheit, die „zu allen Herzen spricht“, gewaltsam vernichtet, zerfetzt, zerschossen, gebrandschatzt wird? Wie kann der Mensch eine Welt ertragen, in der dies wieder und wieder geschieht? Sali Muslius Bilder sprechen uns sanft und mutig zu: seid achtsam, immer sprossen die Blumen hervor, schaut hin, ertragt!
Evi Sofianou, Jahrgang 1980, ist eine Meisterin versteckter Botschaften und Symbole: In den detailreichen, bisweilen filigranen Werken der Malerin mit griechischen Wurzeln finden sich neben mystischen, philosophischen und religiösen Bezügen auch Anklänge gesellschafts- und konsumkritischer Positionen der Künstlerin. Dabei setzt Sofianou ihren akkuraten Strich mit freier Hand virtuos in ein kontrastreiches und dynamisches Flächen-, Linien und Formenspiel um – stets darauf bedacht, der gestalterischen Komplexität eine stabile Ordnung zu verleihen. Ihre Bilder kommen meist ohne einen visuellen Mittelpunkt aus, sie entwickeln sich im Entstehungsprozess mit ihrer jeweils eigenen Dramaturgie, mal von innen nach außen, mal von links nach rechts – oder umgekehrt. In ihren Werken positioniert Sofianou Zeichen, Symbole, Schriften und Figuren so raffiniert, dass der Betrachter immer wieder neue Entdeckungen macht – und manches Geheimnis dennoch nie gelüftet wird.
Old Affairs:
Als Deutsch-Türke mit armenischen Wurzeln stellt Deniz Alt in seiner Malerei und seinen Installationen den Narrativen der Erinnerungskulturen das spekulative Moment entgegen, und weist so auf ihr konstitutives Moment genauso wie auf ihr Verblassen und Verdrängen hin. Er entlarvt sie als changierend und offenbart ihr Potential in der wechselseitigen Anerkennung, die das Leid aus der Dunkelheit der Einzel- perspektive als kollektiv identifiziert.
Von dem Verhältnis von Selbstbeschränkung zu Rollenbildern handeln Annette Merrilds skulpturale Malereien. Sie vereinen den emanzipierten Blick auf die Sexualität. Auf der Suche nach einer globalen Ausformung, die der Kategorisierung entbehrt, liefert sie ein Zeugnis zum und einen Blickwinkel auf den derzeitigen Stand der feministischen und queeren Darstellungen, die sie international in ihrer eigenen Bewegungsfreiheit als Künstlerin und Frau nachhaltig beschränkt. Seit ihrem ersten beruflichen Forschungsaufenthalt zu der Rolle des schwulen Mannes im Iran ist sie als gefährliche Person gelistet und kann trotz eines Zehn-Jahres- Visums nicht ohne dreistündige Befragung in die USA einreisen. Sie setzt das Fotografieprojekt fort und wird in den Iran zurückkehren.
War der Tanz bei dem impressionistischen Maler Edgar Degas noch Ausdruck einer kontrollierten Bewegung, so ist er bei dem deutsch-russischen Künstlerpaar Römer+Römer bereits Ausdruck internationaler Vereinigung. Nicht nur leben sie ihre internationale Affaire bereits seit vielen Jahren. Für ihre Malerei besuchen beide gemeinsam weltweit Festivals und Demonstrationen, auf denen sie Motive sammeln, die sie dann reliefartig zu einem Farbspiel von Flächen und Punkten auf der Leinwand vereinen. Sie lassen den Blick auf den Einzelnen zu Gunsten des kollektiven Moments aufgehen und das zufällige Entgrenzen im Alltag erkennen.
Bei Andreas Lau ist die Leinwand flächig gleichbehandelt. Er greift verschlüsselte Geschichten und löst sie in einer rhythmisierenden Wiederholung von Zeichen auf. Seine Malereien sind Herausnahmen, die über sich selbst hinausweisen und das Gegenüber in der Bedeutungskonstitution miteinschließen. Seine Malereien funktionieren wie ein Raster, das auf sich selbst als Gesamtheit von einzelnen Elementen und zugleich auf das Einzelne als in einer begrenzten Anzahl von vorgegebenen Kategorien bestehendes System, in das bestimmte Erscheinungen eingeordnet werden, verweist.
Sascha Boldt hinterfragt in seinen Werken die Weltanschauung, der wir im Alltag gegenüberstehen und die sich dingfest an Bedeutungszusammenhängen festmachen lassen. Im Spiel mit Perspektiven und Maßstäben, die wir im Alltag häufig unbemerkt einsetzen, erschafft er visionäre Räume und Welten, die in unserer Zeit genauso wie in Hinblick auf die Frage der Hinterlassenschaft in der Zukunft funktionieren. In der Verschränkung von Realitäten, deren Herkunft nicht mehr zu benennen ist, tritt sein Werk in den Austausch und eröffnet Potentiale, die im globalen Lebensraum bereits angelegt sind.